Erstellt von Quantentechnologien

Roland Nagy über Quanten und Ingenieure

Bild: Pixel-Shot - stock.adobe.com / Bearbeitung VDI Technologiezentrum GmbH

Um Quantentechnologien in die Anwendung zu bringen, braucht es viele unterschiedliche Kompetenzen. Wir haben mit Roland Nagy darüber gesprochen, welchen Beitrag Ingenieurinnen und Ingenieure leisten, und wieso Quantentechnologien für sie ein spannendes Karrierefeld sind.

Herr Nagy, bei Quanten denkt man im ersten Moment vor allem an Physikerinnen und Physiker. Wieso ist es wichtig, dass auch andere Disziplinen an der Entwicklung von Quantentechnologien beteiligt sind?

Die Physik hat Herausragendes geleistet und dafür gesorgt, dass wir überhaupt verstehen, wie Quantensysteme funktionieren. Und was macht der Mensch, wenn er so etwas verstanden hat? Er überlegt sich praktische Anwendungen. Dann kommen verschiedene Disziplinen ins Spiel. Das ist so, egal von welcher Technologie wir sprechen. Ein einfaches Beispiel dafür ist ein Hausbau: Die Grundlagen dafür, Statik und so weiter, sind schon lange bekannt. Aber um ein Haus wirklich zu bauen, braucht man Zimmerleute, Maurer, Elektrik, Gas, Wasser, Heizungsinstallation und so weiter.

Bei den Quantentechnologien ist es heute ähnlich: Physikerinnen und Physiker haben das Verständnis geschaffen, wie Quantentechnologien funktionieren. Um dieses Wissen nutzbar zu machen, braucht es unterschiedliche Disziplinen: Ingenieurinnen, die Quantensysteme ansteuerbar und kontrollierbar machen. Maschinenbauer, um das Ganze in ein Gehäuse zu packen. Möglicherweise Materialwissenschaftlerinnen, Chemiker und, und, und. Keine dieser Disziplinen schafft es allein, ein Quantensystem in die Anwendung zu bringen, auch wenn es noch so gut verstanden ist.

Welchen Beitrag können Ingenieurinnen und Ingenieure dabei konkret leisten? Welche Perspektiven und Kompetenzen würden ohne sie fehlen?

Die meisten quantentechnologischen Experimente finden in speziellen Optiklaboren statt. Da steht also ein großer Tisch voll mit Optik und Elektronik. Mit diesen Aufbauten können wir zeigen, dass sich Problem XY mit unserer Quantentechnologie lösen lässt. Das ist aber nur der erste Schritt. Entscheidend ist, ob wir aus dieser Lösung eine echte Anwendung machen können. Zum Beispiel einen Quantensensor, der nicht fest auf unserem Tisch verbaut ist, sondern portabel und somit vor Ort in der Industrie einsetzbar.

Das stellt uns vor mehrere Herausforderungen. Erstens: Wir müssen die Optik miniaturisieren, also deutlich kleiner machen. Darin sind vor allem die Expertinnen und Experten aus der Photonik sehr gut. Zweitens: Auch die ganze Hochfrequenzelektronik müssen wir miniaturisieren. Mehr noch – wir müssen sie optimieren, um unser Quantensystem sicher kontrollieren zu können. Das ist ein Paradebeispiel, wo Ingenieurinnen und Ingenieure ins Spiel kommen. Denn sie bringen das Wissen mit, wie man Elektronik miniaturisiert, Laserschutzeinrichtungen einbaut, die Mechanik designt und so weiter.

Man kann also sagen: Ohne Ingenieurinnen und Ingenieure ist es nicht möglich, eine Quantentechnologie, wie zum Beispiel einen Quantensensor, von einem optischen Labor in die portable Anwendung in der Industrie zu überführen. Sie bauen auf den Grundlagen der Physik auf und schlagen eine Brücke zur Anwendung.

Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem Sie das persönlich erlebt haben? Ein bestimmtes Forschungsprojekt oder eine konkrete Anwendung?

Ich erlebe das täglich, denn bei uns am Institut promovieren ungefähr fünfzig Prozent Ingenieure und fünfzig Prozent Physiker. Das ist spannend, denn man erkennt,  
dass die Herangehensweise der Promovierenden am Anfang sehr unterschiedlich ist. Sie nehmen Probleme unterschiedlich wahr, versuchen sie unterschiedlich zu lösen. Dann sieht man, dass sie schnell von der jeweils anderen Gruppe lernen. Diese Dynamik, die aus der Interdisziplinarität entsteht, ist in meinen Augen ein großer Vorteil.

Ein ganz konkretes Beispiel ist das Projekt QUBIS, das als wissenschaftliches Vorprojekt (WiVoPro) vom BMFTR gefördert wird. Als die Projektidee entstand, wusste ich nur, dass es um Quantensensorik gehen soll und dass ein mögliches Anwendungsfeld dafür die Medizintechnik ist. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Universitätsklinikum Erlangen haben gezeigt, dass Tumorpathologie eine besonders relevante Anwendung sein könnte, weil Quantensensoren helfen könnten, einzelne Krebszellen in Gewebe zu finden.

Als sich diese Idee konkretisiert hat, war schnell klar, dass wir für dieses Projekt unterschiedliche Expertisen brauchen: Chemikerinnen, die einzelne Zellen so verändern können, dass sie magnetische Signale senden. Mediziner, die pathologische Proben bekommen und präparieren können. Physikerinnen, die sich mit Quantensensoren auskennen. Und natürlich Ingenieure, die verstehen, wie so ein Mikroskop aufgebaut und genutzt werden muss, um entsprechende Messungen durchzuführen.

Die Herangehensweise war also, zu fragen: Welche Anwendungen existieren in der Quantensensorik? Welches praktische Problem können wir damit lösen? Welche Disziplinen brauchen wir dafür? Wir haben das Projekt dann von Beginn an mit vier Fachrichtungen geplant, erfolgreich Förderung dafür beantragt und losgelegt.

Dieses Vorgehen war ein voller Erfolg: Das Projekt ist sehr gut angelaufen und schon nach einem Jahr war allen Beteiligten klar, dass man daraus mehr machen muss. Wir haben das Startup QuantumCell Diagnostics gegründet und parallel bereits mehrere Patente angemeldet.

Worum geht es in dem Projekt genau? Und an welchem Punkt stehen Sie gerade?

Nehmen wir an, der Brustkrebs einer Patientin wird chirurgisch entfernt. Dann nimmt man in der Regel die umliegenden Lymphknoten mit heraus und die Pathologie schaut, ob auch im Lymphknoten Krebszellen vorhanden sind. Über die Lymphknoten können sich nämlich die Krebszellen im Körper verteilen, und dann braucht die Patientin eine andere Behandlung.

Im Normalfall schneidet man den Knoten dafür ein- oder zweimal durch, färbt die Oberfläche ein und schaut, ob dort Krebszellen sichtbar sind. Das Problem ist: So ein Lymphknoten ist vielleicht einen Millimeter groß. Wenn man ihn dreiteilt, setzt man also alle 333 Mikrometer einen Schnitt. Eine Krebszelle ist aber nur zwischen zehn und 30 Mikrometer groß. Es gibt deshalb leider Fälle, in denen einzelne Krebszellen im Lymphknoten nicht entdeckt werden, weil sie eben nicht an den betrachteten Oberflächen sitzen. Mit QUBIS arbeiten wir an einer Methode, um selektiv diese einzelnen Krebszellen zu finden.

Wir haben hier in Erlangen eine sehr starke Nanomedizin. Die Kolleginnen und Kollegen können einzelne magnetische Nanopartikel herstellen. Winzig kleine Teilchen, die man so funktionalisieren kann, dass sie an Zellen mit bestimmten Rezeptoren anheften und ein Magnetfeld erzeugen. Wenn man die Rezeptoren der Krebszellen kennt, kann man also dafür sorgen, dass sich nur an diese die Nanopartikel anheften. Man nennt das Labeling, weil man die Krebszellen magnetisch kennzeichnet.

Ganz praktisch heißt das: Der Lymphknoten wird in Einzelzellen zerlegt und eventuell vorhandene Krebszellen bekommen ein magnetisches Label. Dann kommt der Quantensensor ins Spiel. Er ist für das Verfahren zentral, denn er kann sehr schwache Magnetfelder zuverlässig messen. Der Quantensensor prüft viele Hundert Zellen der Probe gleichzeitig. Misst er nichts, sind keine Krebszellen vorhanden. Misst er ein Magnetfeld, ist der Verdacht sehr groß, dass es Krebszellen gibt. Die gelabelten Zellen werden automatisch von den anderen getrennt, damit die Pathologie sie sich genauer anschauen kann.

Viele Schritte dieses Verfahrens funktionieren schon sehr gut: Wir können bereits selektiv die magnetische Nanopartikel an den Krebszellen anbringen. Auch der Nachweis mit dem Quantensensor funktioniert zuverlässig. Aktuell schauen wir uns die Sortierung nach der Messung an, denn die gesunden Zellen und die Krebszellen sollen automatisch voneinander getrennt werden.

Das funktioniert über einen sogenannten Mikrofluidkanal. Das ist sehr komplex und wieder ein gutes Beispiel dafür, wo es im Projekt Ingenieure braucht. Denn in dem Kanal sind optische und mikroelektronische Komponenten integriert, zum Beispiel ein Inkubator, der die Zellen am Leben hält. Da stellen sich viele Fragen: Wie designe ich so etwas? Wie kontrolliere ich, welche Zellen in den Kanal kommen, dass sie darin gespeichert werden und danach wieder entlassen, ohne sich zwischendurch zu bewegen oder kaputt zu gehen? Hier braucht man Photonik, Mikroelektronik, Mikrofluidik und Elektronik – also Regelungstechniken, die typische Ingenieursaufgaben sind.

Wie sind Sie persönlich zum Thema Quanten gekommen? Was war Ihr erster Berührungspunkt und wieso sind Sie drangeblieben?

Als ich hier in Erlangen studiert habe, habe ich mich natürlich gefragt, was ich damit machen will. Das, was mich am meisten motiviert hat, war, etwas Neues zu machen. Ein Thema zu bearbeiten, das in der Wissenschaft noch weitgehen unbekannt ist. Das war gar nicht einfach und ich habe erst einmal nichts gefunden, das mir wirklich gefallen hat.

Durch ein Stipendium hatte ich nach dem Master die Möglichkeit, in die USA zu gehen, und ich habe mich für das IBM Watson Research Center entschieden. Das ist eine privat geführte Einrichtung, also ein Industrieunternehmen, das aber im Bereich Halbleitertechnologien über Jahrzehnte hinweg Maßstäbe gesetzt hat. Ich wollte sehen, was dort Neues passiert.

Von Quantentechnologien wusste ich damals gar nichts, habe dort dann aber schnell erfahren, dass es bei IBM gleich zwei Abteilungen gab, die sich mit Quantentechnologien beschäftigen. Ich war ziemlich erstaunt, dass damals, 2013, in den USA die Industrie so aktiv an einem Bereich geforscht hat, mit dem ich an der Uni gar nicht in Berührung gekommen war. Das hat mich begeistert, denn es war genau so ein Thema, das in den Ingenieurwissenschaften neu ist und viel Potenzial hat.

Ich habe mir dann verschiedene Universitäten und Forschungsgruppen angeschaut in den USA und Europa und meine Wahl für die Promotion fiel schließlich die Gruppe von Professor Wrachtrup in Stuttgart. Sie arbeiten mit Quantensystemen, die bei Raumtemperatur eingesetzt werden können. Das war für mich als Ingenieur natürlich ein großer Vorteil.

Weitere Informationen

Roland Nagy koordiniert das wissenschaftliche Vorprojekt QUBIS , in dem die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg gemeinsam mit dem dazugehörigen Uniklinikum ein quantenbasiertes Biopsiescreening entwickeln. Aus dem Projekt ging das Start-up QuantumCell Diagnostics hervor. Auch die Nachwuchs-Forschungsgruppe QMNDQCNet , die im Rahmen des Nachwuchswettbewerbs Quantum Futur BMFTR-Förderung erhält, wird von Nagy geleitet.

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Roland Nagy schloss sein Masterstudium im Bereich der Elektrotechnik 2013 mit Auszeichnung ab. Im Anschluss ging er als Gastwissenschaftler zum IBM Thomas J. Watson Research Center in Yorktown Heights (USA). Während seines Aufenthalts entwickelte er einen innovativen Ansatz für die Realisierung von Festkörpergassensoren. Seine Promotion führte er an der Universität Stuttgart im Bereich der Quantentechnologien auf der Basis von Farbzentren durch. Anschließend war er bei der Carl-Zeiss AG als Quantentechnologie-Experte tätig. 2020 erhielt er den Ruf als W1-Professor für Quantentechnologien an der FAU. 2023 wurde er W3-Professor und Leiter des Lehrstuhls für Angewandte Quantentechnologien.
Bild: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg